Mittwoch, 20. Juli 2016

Die Greisin und die Sehenden




Die Greisin und die Sehenden






Nun treffe ich die Greisin regelmässig im Wald an.
Wir werden uns immer vertrauter.
Ihr Wissen über die Natur und die Elemente,
ergeben einen wertvollen, unbezahlbaren Schatz.


Die Greisin, mit ihrem stets sanften lächeln im Gesicht,
erscheint mir heute allerdings traurig, erschöpft.
Ich frage sie nach dem Grund.
Aber sie antwortet mir nicht.
Wie so oft, wenn sie der Meinung ist,
dass meine Frage nicht von wirklicher Bedeutung wäre.
Und so schweigen wir, während vor uns der Schmetterlings weg
in seiner gesamten Schönheit erscheint.
Hier verweilen wir gerne,
umgeben von tanzenden Schmetterlingen,
fühlt sich das Herz besonders leicht an.







Dann sieht sie mich an, mit ihren gütigen funkelnden Augen.
Die Sehenden werden immer weniger,“ seufzt die Greisin.
Die Menschen gehen in den Wald, aber sie sehen nicht. Nicht richtig.
Sie laufen, rennen und schreien in ihre Telefone.
Sie übertönen die Musik und Stimmen des Waldes,
mit ihren Geräten.
Ich zeige ihnen die schönsten Dinge -
aber sie können es nicht sehen.
Wenn wir ein Waldkonzert feiern,
hört niemand zu.
Sie laufen einfach vorbei.
Ihr, die hin seht und hört, seid wenige.
Dabei wäre es so wichtig...“







Ich verstehe was sie meint,
aber was sollte ich dieser Weisen Frau antworten?
Hatte sie mit ihren Worten nicht recht?
Dann nehme ich ihre Hand in meine
und sehe sie mit ernstem Blick an.
Du hast recht in dem was du sagst.
Aber ich kann dir sagen,
dass wir gar nicht so wenige sind.
Wir leben verteilt auf der ganzen Welt
und treten kaum in Gruppen auf.
Aber wir sind da. Und wir werden mehr.
Langsam zwar, aber wir werden mehr.
Wir, die wir die Natur als mehr sehen.
Mehr als grüne Flächen und Bäume,
Wasser, Wege und Tiere.
Wir, die richtig hin sehen und noch staunen können.

Gib uns nicht auf.“

© Die Waldfrau